Tribe-Notes 07/23 – Die Orte zwischen den Destinationen
Könnte es sein, dass die Destination unseres Herzen jenseits des Erfassbaren liegt? Ein besonderer Ort, der sich weder planen noch empfehlen lässt. An dem wir unser Sein spüren und alles Sinn ergibt?
TRIBE-Notes #19 | Juli 2023
Die überwältigende Schönheit eines solchen Ortes liegt im Auge seiner Betrachterin bzw. seines Betrachters.
Letzte Woche wurde ich auf eine solche Weise überwältigt.
Irgendwo im Nirgendwo. Nein, nicht im fernen Asien oder im tiefsten Amazonas. Aber dennoch ein Ort mit A: in den Alpen. Mitten in Österreich.
Ich wusste, es würden anstrengende Tage vor mir liegen. Denn nicht immer halte ich mich aus purer Glückseligkeit oder nur zum Zeitvertreib an schönen Destinationen auf. Manchmal ist meine Reiselust auch an meine selbständige One-Woman-Show gekoppelt.
Manchmal werde ich zur Jongleurin. Irgendwo zwischen Texten und Yogamatte, Events und Retreats. Und ich liebe es auch noch. Und würde mein Leben niemals gegen gefällige 08/15-Routinen tauschen. Die Freiheit hat einen Preis, den ich (meistens) gerne zahle.
1. Programmpunkt: ein mehrtägiges Event in Kitzbühel
2. Programmpunkt: ein einwöchiges Yogaretreat in Kärnten
So weit, so gut. Den kleinen Haken meines Vorhabens kannte ich schon vorher: Zwischen beiden ziemlich konträren Programmpunkten (man könnte sagen: Yang und Yin in ihren Extremen) lag keine wirkliche Regenerationszeit, sondern nur ein paar Stunden für die Autofahrt von A nach B. Google Maps hatte einen Vorschlag…
Dieser lautete: Felbertauernstraße.
Es klang plausibel, den kürzesten Weg in Richtung Süden zu nehmen. Ein neuer Weg, den ich nicht kannte.
Ich habe viele Argumente parat, um ans Meer zu fahren. Doch noch nie in meinem Leben gab es einen Grund nach Mittersill, Matrei oder Lienz zu fahren.
Noch etwas müde und mit vom Eventgeschehen überladenen Sinnen machte ich mich auf den Weg. Ich hatte nicht damit gerechnet, an jenem Sonntag eine Straße im echten Leben vorzufinden, die so aussieht wie aus einem Auto-Werbespot:
Langgezogene, sanfte Kurven aus Asphalt, die sich ihren Weg durch schneebedeckte Gipfel und saftig-grüne Almwiesen bahnten. Da und dort eine Kirche, auch mal mit einem ziemlich instagramablen Zwiebeltürmchen garniert, in nahezu unberührter Landschaft.
Mein schwarzer Mini fast allein auf der Straße. Manchmal ein gemächlich dahinfahrendes Wohnmobil. Oder ein paar Sonntags-Motorradfahrer. Die Sonne schien beherzt auf die Postkartenidylle und ich stellte mir die unfassbar schöne Perspektive von einer Drohne aus vor.
Plötzlich hatte ich keine Eile mehr. Niemand hatte es eilig.
And ‚just like that‘ war es, als hätte die ganze Welt an diesem Sonntag kollektiv einen Gang zurückgeschaltet. Eine Pause gemacht. Um danach genüsslich tief aufzuatmen.
Dann irgendwann der Felbertauerntunnel.
1967 fertiggestellt. Einröhrentunnel mit Gegenverkehr.
5,3 Kilometer lang. In einer Seehöhe von 1.650 Metern.
So kann man es auf Wikipedia nachlesen.
Man könnte an und in diesem Tunnel gleichzeitig etwas Beklemmendes, etwas Nostalgisches und etwas Bewusstseinserweiterndes finden.
Ein Gefühl als hätte mich etwas geschluckt, um mich – auf seltsame Weise transformiert – auf der anderen Seite wieder auszuspucken.
Noch 5,3 Kilometer bis zur Erleuchtung. Vielleicht sind Tunnel ja das Ayahuasca der Alpen. Wer weiß das schon.
Atmen.
Rhythmisch aufblitzende Lichter.
Das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt.
Ein Trampelpfad für alles, was Räder hat.
1.001 Gedanken über das Leben, den Tod und alles dazwischen.
Und das erwartungsvolle Gefühl, bis sich das Tageslicht am Ende des Tunnels abzeichnet.
Im Radio ein Song von Nek.
Auf der anderen Seite des Tunnels war ich nicht mehr dieselbe.
Alles fühlte sich leichter und freier an.
Es lässt sich nicht erklären, daher versuche ich es erst gar nicht.
Meine Intuition kämpfte mit dem Verstand und setzte sich schließlich durch: Ausfahrt Innergschlöss. Es ist der schönste Talschluss der Ostalpen. Auch das kann man nachlesen.
Nationalpark Hohe Tauern. Irgendwo zwischen Großglockner und Großvenediger.
Meine Güte, wie exotisch und abenteuerlich kann es sich anfühlen, das eigene Heimatland zu entdecken!
Die Sonne setzte ihren schönsten Filter auf, um alles in ein noch unwirklicheres Licht zu tauchen. Nur das Geräusch eines Wasserfalls und eines Baches war zu hören.
Er hatte dieselbe milchig-türkise Farbe, wie der Eagle Beach in Aruba, ich schwör’s!
Unzählige Insekten und duftende Bergblumen, die ein bisschen so rochen, wie die Wildkräuter an der West-Algarve.
Und falls es glückliche Kühe gibt, dann grasen sie garantiert im Gschlösstal in meditativer Manier genüsslich die Almwiesen ab. Vielleicht kommen sie auch neugierig zum Zaun, damit man sich überzeugen kann, wie geschmeidig-weich es sich anfühlt, wenn eine Kuhzunge über die eigene Hand leckt. Und die rosa Kuh-Nase (Flotzmaul ist der Fachbegriff, der diesem entzückenden Teil des Kuhgesichts eindeutig den Charme nimmt) so feucht ist, wie die eines Golden Retriever Welpen – nur viel größer.
Was soll ich sagen, dieser Ort zwischen den Destinationen hat mein Herz berührt.
Nur ein kurzer Zwischenstopp und meine inneren Batterien waren wieder aufgeladen.
Warum ich dir das alles erzähle?
Damit du offen bleibst für die Überraschungen des Lebens.
Damit du nie aufhörst, an eine Wendung zu glauben.
Damit du mutig bleibst, unbekannte Pfade zu beschreiten.
Und damit du bedingungslos deinem Herzen folgst – und die Magie erkennst, die in fast allen ‚Umwegen‘ liegt, die in Wahrheit gar keine sind.
Umwege sind die Highways zu dir selbst.
xo, Jeanette