Es geht gar nicht um das Meer, sondern ausnahmsweise um die Berge. Es geht nicht um das Loslassen, sondern ausnahmsweise ums Festhalten. Denn der September ist ganz sicher kein Grund, die Freuden des Sommers – das Lachen, Tanzen und Feiern, die Leichtigkeit & den Übermut – einfach so aufzugeben.
Ich weiß nicht, ob es ein Zeichen war oder einfach nur Pech: Ich hatte mich an einem Wochentag im August an meinem Lieblingssee eingefunden und war überglücklich, dass ich den Schreibtisch mit allen To-dos daheim gelassen hatte, obwohl ich als Solopreneurin (klingt gut, ist es aber nicht immer) trotz Sommerloch eigentlich immer etwas zu tun habe, und sei es, die Herbstaktivitäten zu planen.
Für einen Moment war ich stolz, dass ich meinem tiefen Bedürfnis nach Weite, nach einer Pause und der Klärung unnützer Gedanken nachgegeben hatte. Denn, wenn ich es nicht im August tue – also dann, wenn der Süden Europas zwischen Dolce Vita und Ferragosto taumelt, wenn Kinder Wasserrutschen und Hüpfburgen bevölkern, wenn Passionsfrucht- und Schokoladeneis um die Wette schmelzen, wenn Mensch & Hund auf frisch aufgepumpten SUP-Boards der Leichtigkeit ihres Seins folgen – ja, wann denn bitte schön sonst?
Kurz nachdem ich mit dem Kopf zur Gänze unters Wasser getaucht war, weil ich irgendwo gelesen hatte (oder es mir besser gesagt beim Scrollen auf Instagram untergekommen war), dass sich der Körper so am allerbesten von negativen Energien befreien kann.
Wobei ich mich frage: Wie kann Energie überhaupt negativ sein? Keine Energie mehr übrig zu haben, aus dem letzten Loch zu pfeifen, ja, das ist negativ! Aber solange da so etwas wie Energie durch die Adern schießt oder sich seinen Weg entlang diverser Meridiane bahnt, sollte doch alles gut sein, oder etwa nicht?
Das Abtauchen im See hatte jedenfalls die gewünschte Wirkung entfaltet und ich begann völlig beflügelt einige Notizen in mein Handy zu tippen, aus welchen eigentlich diese Tribe-Notes werden sollten. Nur waren sie später, als ich wieder mit meinen To-dos am Schreibtisch vereint war, weg.
Einfach so. Von den unergründlichen Tiefen des iPhones verschlungen.
Ich weiß noch ungefähr, was mir am See durch den kühlen Kopf ging. Ich lag nämlich genüsslich ausgestreckt wie ein Fakir auf grobem Kies am Seeufer – mit einer Flasche ‚Orangina‘ aus dem Supermarkt. Und jedes Mal, wenn ich Orangenlimonade aus dieser rundlichen Flasche trinke, denke ich an meinen ersten Urlaub an der Côte…
Ich war noch nicht mal 16 Jahre alt, als ich in Antibes den Sommer meines Lebens verbrachte.
Einen Sommer, der morgens nach dem Aufwachen nach taufrischem Gras roch. Und der nach knusprigem Baguette mit Butter und Johannisbeermarmelade schmeckte. Es gab einen Strand voller Menschen, an dem einer unentwegt “Oranginaaa, Orangina fresh” brüllte. Das wurde zum Running Gag unseres Sommers.
Wir waren Freundinnen, die einen Sommer lang dieselben bauchfreien T-Shirts trugen, aber dennoch grundverschieden waren. Der größte Unterschied: Meine Familie hatte kein Haus in Antibes.
Wir hätten wunderbar in einen französischen Film übers Erwachsenwerden gepasst. Die ganze Geschichte werde ich irgendwann mal erzählen. So wie die Geschichte von meinem Sommer in Pesaro, in dem ich zum ersten Mal das Wort ‚Heimweh‘ hörte.
In den ursprünglichen Tribe-Notes sollte es aber gar nicht um Südfrankreich gehen. Vielmehr wollte ich von meinem Daheimbleiben erzählen. Denn warum sollte ich ausgerechnet zur teuersten Urlaubszeit verreisen, wenn ich ganz andere Möglichkeiten habe?
Der einzige Haken an der Sache: Ich bin im August geboren!
Seitdem ich 2017 (Ich habe extra auf meinem uralten Reiseblog nachgesehen!) einen furchtbar kalten und verregneten Geburtstag in Salzburg verbracht hatte, hatte ich mir geschworen, dass mir so etwas nie wieder passieren würde. Ich habe einen Geburtstag auf den Sporaden und einige andere am Gardasee, auf Sardinien und Korsika verbracht. Denn wenn es dort regnete, was schon mal vorkam, konnte man immer noch die Füße ins Meer halten, Champagner wie Wasser trinken und fröhlich sein.
Dann wurde alles anders und ich brauchte etwas Neues. Letztes Jahr hat es mich deshalb erstmals nach Hydra verschlagen – diese magische Insel ist perfekt für fast alles und will mir seither nicht mehr aus dem Kopf gehen. Könnte also gut sein, dass ich dort nächstes Jahr wieder auftauche.
Insofern fühlte sich der diesjährige Geburtstag wie eine Mutprobe an. Wie eine zweite Chance fürs Universum, um das wiedergutzumachen, was es 2017 versaut hatte. Statt mit dem Meer auf Augenhöhe zu sein, schwebte ich 1.786 Meter darüber.
Schon die Suche nach den perfekten Wanderschuhen war eine fast unbezwingbare Herausforderung. Und pünktlich zum 19. August gab das Sommertief alles, um mir zwischen Filzmooshörndl und Loosbühel erneut die Laune zu verderben – bei 17 Grad, Regen und November-Nebel mitten im August.
Doch am Ende waren da die liebsten Menschen um mich herum,
die betörende Stille inmitten unberührter Wälder,
das plätschernde Quellwasser,
Kraftplätze mit uralten Lärchen,
das verschworene ‘Griaß enk’ auf urigen Almhütten und
dazwischen achtsame Zen-Kühe mit ihrem meditativen Glockengeläut.
Sogar Eierschwammerl und Kaiserschmarrn standen auf der Menükarte.
Es gab Schnaps und himmlische Betten, beides aus der Zirbe gemacht.
Ich bin ein absoluter Zirbenfan und weiß, dass man, umgeben von viel Zirbenholz, sogar Herzschläge ‚einsparen‘ kann. Es kam mir also vor, als hätte ich im Schlaf meinen kostbaren JING-Speicher wieder aufgefüllt, frische Lebensenergie fürs ganze nächste Jahr getankt. Ich mag diese Vorstellung aus der Traditionellen Chinesischen Medizin: Solange Qi fließen kann, ist das Meiste gut.
Und dann ist da ja noch die Sache mit den Ionen: Die Ionen, die wir aufsammeln, wenn wir uns in der Natur aufhalten, sind negativ, was aber eine positive Wirkung hat. Das klingt paradox, habe ich aber auf einer Pressereise in Slowenien gelernt und man kann bestimmt auch mit GPT darüber chatten.
Insofern hat es etwas mit mir gemacht. Dieses Wandern in den Bergen.
Was ich dabei liebe, ist die Stille, die Weite & manchmal kein Handyempfang. Es ist auch genau das, was mich am Meer, insbesondere am Atlantik fasziniert. Wellenrauschen ist ja im Grunde auch Stille, nur in einer anderen Form. Lärm aus der Natur ist immer positiv.
Wie gut, dass man irgendwann weiß, was einem im Leben wichtig ist. Und worum es dabei im Wesentlichen geht.
In diesem Sommer ging es um Vieles. Viele Berge und Seen, viele Freundschaften und Interaktionen, viele Erlebnisse, Aktivitäten und Einsichten. Mein ruhebedürftiges YIN kam manchmal aus der Puste, während mein feuriges YANG zwischen Festspiel-Events, DJ-Nights, See-Meetings, Picknicks, Geburtstagsfeiern, Sonnenuntergängen & Cocktails herumhüpfte.
Aber ist der Sommer nicht genau dafür gemacht?
Geht es nicht darum, alles aufzusaugen, zu genießen, wahrzunehmen und zu spüren? Nichts aufzuschieben und einfach zugreifen, egal, was das Leben gerade am Tablett vorbeiträgt? Eigentlich wollte ich in den Tribe-Notes ja schreiben, was ich 1.786 Meter über dem Meeresspiegel losgelassen habe. Doch vielleicht war alles, was ich loslassen musste, nur diese verlorengegangene Notiz.
Vielleicht geht es gar nicht darum, überhaupt irgendetwas loszulassen.
Vielleicht dürfen wir uns erlauben, an schönen Erinnerungen für immer festzuhalten. Und wenn wir wollen, auch an den weniger schönen, weil auch die ein wichtiger Teil von uns sind.
Vielleicht dürfen wir uns einfach viel mehr nehmen, als wir es für richtig halten. Nichts übriglassen vom Kuchen, sondern ganz einfach einen neuen backen.
Vielleicht dürfen wir uns auch mal das Gras auf der anderen Seite schmecken lassen. Die Kühe auf der Alm haben schließlich auch kein Problem damit, alles nach Herzenslust abzugrasen.
Vielleicht ist es ja gar nicht verwerflich, aus allem immer das Allerbeste herausholen zu wollen.
Und vielleicht reicht es ja manchmal, mit gedankenverlorener Leichtigkeit einen Schritt vor den anderen zu setzen. Dem Weg neugierig zu folgen, auch wenn man nicht weiß, wohin er führt. Einfach den Rucksack noch ein Stück weitertragen und merken, dass man alles schaffen kann.
Mein Sommer war jedenfalls dazu da, um Gäste zu empfangen, Schlafplätze zu verteilen und Kissen aufzuschütteln.
Um den Kühlschrank zu füllen, mit mehr als man essen kann.
Und um große Körbe zu packen, als wäre ich eine Französin in Antibes – mit Strandtüchern, Sonnencreme, Büchern und Snacks.
Und nichts ist schöner als in lauen Sommernächten, den Grillen zu lauschen, den Mond zu bewundern, noch ein Glas auf die Freundschaft zu trinken und sich zum tausendsten Mal dieselben Geschichten zu erzählen.
Den nächsten Morgen mit Eiern, Palatschinken & Kinderlachen zelebrieren. Sich fest umarmen und schon die nächsten Pläne schmieden.
Mein Sommer war auch dazu da, um überschäumende Ideen mit den richtigen Menschen zu spinnen und mutig in den nächsten Kapiteln zu blättern.
Ich werde weiterhin meinen wildesten Träumen nachjagen, weil ich den Tag, an dem ich sie einholen werde, schon ganz genau vor mir sehe.
Denn geht es im Leben nicht darum, all das zu tun, was unser Herz höherschlagen lässt? Und was soll schon passieren, wenn wir jenen Dingen das meiste Gewicht schenken, die auf den ersten Blick am wenigsten Sinn ergeben?
Was wäre, wenn wir mehr Kunst, mehr Poesie und Fantasie in unser Leben lassen? Das wäre doch garantiert besser, als unseren Geist zwanghaft mit Sorgen und Pflichten zu belästigen!
Was wäre, wenn wir das, was uns der Sommer gelehrt hat, einfach in den September mitnehmen?
Das Lachen, das Tanzen, das Feiern. Die Freude, die Leichtigkeit, den Übermut.
Wir könnten es gemeinsam tun.
Vielleicht ein rebellischer Akt.
Einfach alles festhalten, von dem wir meinen, dass es weiterhin zu uns gehört.
Denn was haben wir schon zu verlieren, wenn es nichts loszulassen gibt?
xo Jeanette
IN DIE FERNE
LOOSBÜHELALM – Der Ort, an dem ich von wohlriechendem Zirbenholz umgeben eingeschlafen und mit dem Glockengeläut der Kühe aufgewacht bin.
SALZKAMMERGUTSEEN – Die fantastischen Seen sind wahrscheinlich mein bestes Argument, um an meiner Homebase in Salzburg festzuhalten.
IN DIE TIEFE
YOGA MIT JEANETTE | TERMINE IM SEPTEMBER
YOGA MIT FREUND*INNEN – Bei unserem legendären Retreat an der Algarve, an dem wir von 29. Sept – 5 Okt 2024 den Sommer zelebrieren, ist kurzfristig ein Platz frei geworden! Ist das vielleicht dein Zeichen? :)
YANG Body YIN Mind – Wir verknüpfen Yoga, Breathwork & Somatic Movement mit den Prinzipien von Yin & Yang. Eine emotionsgeladene Playlist bringt unser Qi in den Fluss. Für ein lebendig-leichtes Lebensgefühl! Der nächste Termin: SA, 21. Sept 2024 im Inama-Institut in Seeham bei Salzburg
THE YOGA HIDEAWAY | ONLINE-YOGA
THE SUMMER JOURNEY – Summer is a state of mind, deshalb bleibt diese Journey auch noch im September geöffnet! Den Start, die Route & die Dauer deiner Online-Yogareise bestimmst du selbst.
Ich reise in die Ferne & in die Tiefe. Aber nicht nur. Ich bin auch Texterin, Reisejournalistin und Yogalehrerin. Auf meiner Website kannst du in meinen Kosmos aus Feinsinn, Weitblick & Tiefgang tauchen.